Forschungsprojekt

Richtig studieren! Der deutsche normative Diskurs über Studium und akademische Freiheit im Jahrhundert der Aufklärung (1693–1811)

Johan Lange

Johan Lange

Wissenschaftlicher Koordinator (2013–2016)

 


Was ist Aufklärung? – Wir alle kennen Immanuel Kants Antwort auf diese berühmte Frage, die man mit den Schlagworten »Selbstbestimmung« und »intellektuelle Autonomie des Individuums« zusammenfassen könnte. Wer aber als Historiker der Frage nachgeht, was die wesentlichen Eigenschaften aufklärerischen Denkens im 18. Jahrhundert waren, der wird vor allem zwei Phänomene studieren: Säkularisierung und Rationalisierung. Es kam nicht mehr allein auf das Seelenheil an, sondern auf das Verständnis der Welt und der menschlichen Gesellschaft – und darauf diese zu verbessern.

Wie aber wirkte sich aufklärerisches Denken auf die in der christlichen Ständegesellschaft gewachsene Institution der Universität aus? Diese große Frage verfolgt das Dissertationsprojekt. Im Fokus stehen dabei Quellen, in denen normative Erwartungen an Studierende formuliert wurden. Denn im 18. Jahrhundert entstand eine reichhaltige Literatur rund um das »richtige Studieren«: Ratgeber für studieninteressierte Schüler und deren Eltern, Universitätskataloge ähnlich der heutigen Universitätsrankings, eine moralische Tugendliteratur für Studierende und vor allem Einführungen in das akademische Studium.

Die Ratgeberliteratur des 18. Jh. warnte vor der ›Gefahr der akademischen Verführung‹.

In allen diesen Textgattungen wurden Normen an Studierende formuliert, mit dem Ziel, deren Verhalten zu beeinflussen. Es begann ein Kampf um die Deutung der »akademischen Freiheit«. In welchem Sinne waren Studenten frei? Durften sie leben wie sie wollten? Oder nur fleißig die Vorlesungen besuchen, die sie interessierten? Dabei sollte man nicht davon ausgehen, dass die Studenten wesentlich exzessiver lebten als noch im Jahrhundert zuvor. Im Gegenteil: Es war der Erwartungshorizont, der sich durch das säkulare, auf Zweck und Nutzen gerichtete Denken der Aufklärung verändert hatte.

Das bisherige Untersuchungsergebnis des Dissertationsprojektes zeigt dabei einen spannenden Prozess der Sozialdisziplinierung. Christliche Ermahnungen um 1700 wurden ab 1750 von einer innerweltlich argumentierenden Tugendlehre abgelöst. Die Studienzeit wurde nicht mehr als Stand mit eignen Rechten und eigenen Werten aufgefasst, sondern nur noch als Durchgangsstadium für das spätere Berufsleben zum Nutzen der Gesellschaft. Diesem Ziel, für die Gesellschaft nützliche Bürger zu schaffen, musste sich das Studium unterordnen. Doch die Studierenden verteidigten ihren Begriff vom »freien Bursch«. Ein Mentalitätswandel scheint nur zögerlich stattgefunden zu haben. Schließlich war es der absolutistische Staat, der sich ab den 1790er Jahren immer stärker in den Interaktionsraum Universität einmischte. In Kooperation mit der akademischen Obrigkeit wurde der studentische Aktionsradius nach und nach eingeschränkt. Professoren sollten Anwesenheitslisten führen, die Fonds für Denunziationsbelohnungen wurden erhöht, die akademische Polizeitruppe mit neuartigen Knüppeln ausgestattet. Wer sich als Student den Normen weiterhin widersetzte, sollte von der Universität gewiesen werden. Die Tugendliteratur verschwand. Die Einführungen in das akademische Studium konzentrierten sich auf den fachlichen Inhalt der verschiedenen Fächer.