Forschungsprojekt

Schwangere und Gebärende unter Beobachtung. Der ärztliche Fallbericht im Kontext der französischen Geburtshilfe 1750–1830

Lucia Aschauer

Lucia Aschauer

Doktorandin in der Abteilung Frühe Neuzeit (2015–2016)


Die geburtshilfliche observation

Im Fokus des von Prof. Dr. Rudolf Behrens (Bochum) und Prof. em. Dr. Regina Schulte betreuten Promotionsvorhabens steht ein bisher kaum erforschtes Narrativ des Wissens: der ärztliche Fallbericht in seiner französischen Ausprägung als observation. Ziel des Dissertationsprojekts ist es, die Rolle der observation in der Etablierung der ärztlichen Geburtshilfe zu ergründen. Die leitende Hypothese lautet dabei: Der in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts stattfindende geburtshilfliche Paradigmenwechsel – die Verdrängung der Hebammen durch die männlichen Geburtshelfer – eignet sich in besonderem Maße, die gattungsinhärenten Spannungen der observation aufzuzeigen.

Histoire d’une fausse-couche singulière, suivie peu de tems après d’une grossesse extraordinaire

M. Deydier, Recueil périodique d’observations de médecine, de chirurgie et de pharmacie, 1757

Erzähltes Wissen

Grundlage für die Untersuchung bildet ein Korpus von circa 300 geburtshilflichen Fallberichten, die zwischen 1754 und 1822 im Journal de Médecine, Chirurgie, Pharmacie, etc. veröffentlicht wurden. Der gewählte methodische Zugriff – eine Verknüpfung wissenschaftshistorischer, gattungstheoretischer und narratologischer Ansätze – wird sowohl der erzählerischen Beschaffenheit als auch den epistemischen Funktionen der vorliegenden observations gerecht. Ohne den Fallberichten ihren wissensproduzierenden Anspruch streitig zu machen, können die für die Narratologie zentrale Trennung von Autor und Erzähler oder die Konzepte der Figur, Figurengestaltung und Erzählsituationen für die Lektüre der observations fruchtbar gemacht werden. Die konkurrierenden Akteure der Geburtshilfe lassen sich mithilfe dieses Ansatzes als Figuren einer Erzählung auffassen, die vom Erzähler – selbst Teil der Geschichte – in Szene gesetzt werden. Der Kampf um die Deutungshoheit über den schwangeren und gebärenden Frauenkörper wird in der observation mit den Waffen der Erzählkunst ausgetragen.

Einblicke in die Entstehung einer Disziplin

Mit der genauen Bestimmung der observation als wissenschaftliche Gattung soll ein Beitrag zur Genealogie des ärztlichen Fallberichts geleistet werden. Gleichzeitig ermöglicht die Untersuchung einen Einblick in die Entstehungskonditionen einer neuen geburtshilflichen Wissensordnung Ende des 18. Jahrhunderts in Frankreich.

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