Forschungsprojekt

Die »anciens combattants« im Senegal: eine Geschichte bürokratischer Praktiken und Imaginationen im Militär, 1945–1975

Dr. Martin Mourre

Postdoc-Projektstipendiat

martinmourre [a] hotmail.com


Anliegen dieses Forschungsprojektes ist es, zu untersuchen, inwiefern im Senegal durch die koloniale und später nationale Armee ein Repertoire von Kodierungen kollektiver historischer Erfahrungen entstanden ist und in welcher Form und mit welchen Motiven unterschiedliche Akteure diese Frage beantworten. Die Etablierung einer nationalen Armee basiert auf einer Kontinuität mit der kolonialen Armee. Untersucht man den zeitlichen Rahmen von 1945 bis 1967, kann man den Aufbau, die Strategien und die Prozesse der Bürokratie im Militär des späten Kolonialstaats und beginnenden Nationalstaats verfolgen. Dies erlaubt den Wissenstransfer zwischen der Metropole und ihren ehemaligen Kolonien zu erforschen.
Der Staat ist eines der Zentren, in denen die biografischen Wege der »anciens combattants« formalisiert werden. Aber dieses Projekt untersucht auch andere Ebenen, wie zum Beispiel Vereine und familiäre Strukturen. Anhand solcher Mittel der Registrierung und der Kontrolle von Militärkarrieren betrachtet das Projekt das Spannungsfeld, in dem die ehemaligen Kämpfer ihre Plätze in einem Geflecht aus familiären, lokalen und assoziativen Strukturen ausgehandelt haben. Diese beeinflussen zugleich bestimmte soziale und politische Prozesse im Senegal. Dabei soll weniger eine Chronologie staatlich festgeschriebener Abläufe untersucht werden, die in den Zuständigkeitsbereich des französischen und dann senegalischen Staates fallen, die zum Beispiel die Rentenordnung, das Verteidigungsministerium oder sogar die Verfassung betreffen, sondern viel mehr die Entwicklung der Texte an sich. In den Fokus rücken dazu die parlamentarischen Debatten, die diese Texte produziert haben, oder die Erstellung von Rundbriefen, was zum einen die öffentlichen Verfahren von  Qualifizierung und Quantifizierung der Militärkarrieren verdeutlicht und zum anderen das Verfassen dieser Dokumente im Hintergrund, wofür eine Ethnografie des Archivs nötig ist.

Anliegen dieses Forschungsprojektes ist es, zu untersuchen, inwiefern im Senegal durch die koloniale und später nationale Armee ein Repertoire von Kodierungen kollektiver historischer Erfahrungen entstanden ist und in welcher Form und mit welchen Motiven unterschiedliche Akteure diese Frage beantworten.

Einen zweiten Forschungsgegenstand bilden die Vereine der »anciens combattants«.Das Office nationale des anciens combattants et victimes de guerre wurde im Juni 1961 nach dem Vorbild seines französischen Pendants gegründet. Die Organisation vereint alle regionalen Verbände, die Unions régionales des anciens combattants (URAC), die in den 14 Regionen Senegals vertreten sind. Neben den Statuten und den Protokollen der Generalversammlungen beschäftigt sich das Projekt mit den Mitgliederregistern, den Mitgliedskarten und den verschiedenen Empfangsbescheinigungen.  Darüber hinaus ermöglicht die Untersuchung privater Archive, insbesondere der Briefwechsel zwischen den Familien und den Behörden, auf  die Verbreitung einer bürokratischen Vorstellungswelt einzugehen. Das Lokalisieren der verschiedenen Verfahren wird es ermöglichen, die Handlungsmittel der Bürokratie des Militärs über drei Jahrzehnte zu verfolgen und individuelle – oder kollektive – Strategien des Protestes zu analysieren.

Abbildung: In der Maison des anciens combattants in Dakar, 2008, Fotografie: Martin Mourre