Forschungsprojekt

Internationale Herausforderungen und die Entstehung eines öffentlichen Raums in Europa seit den 1970er Jahren

Dr. Christian Wenkel

Dr. Christian Wenkel

2009-2016 am DHIP


Projekt in Zusammenarbeit mit dem Laboratoire d’excellence »Écrire une histoire nouvelle de l’Europe« (Prof. Dr. Éric Bussière, Prof. Dr. Hélène Miard-Delacroix)

Die Historiografie zur Geschichte der deutsch-französischen Beziehungen seit 1945 wie auch jene zur Geschichte der internationalen Beziehungen in Europa wird dominiert von einer Fokussierung auf das Bilaterale sowie einer politikgeschichtlichen Perspektive. Die methodische Herausforderung besteht mithin darin, etwa die Geschichte der deutsch-französischen Beziehungen nach 1945 stärker in einen europäischen Kontext einzubetten und einen Perspektivenwechsel vorzunehmen. Es gilt dabei, jenseits üblicher Archivsperrfristen und klassischer politikgeschichtlicher Methoden, auch die unmittelbare Vergangenheit in den Blick zu nehmen. Statt der Ebene politischer Entscheidungen soll deshalb die zivilgesellschaftliche Ebene zum Ausgangspunkt dieses Projekts gemacht werden – ein Perspektivenwandel, der unter anderem durch die allmähliche Herausbildung eines „europäischen Kommunikationsraumes“ seit den 1970er Jahren begünstigt wird. Im Fokus der Untersuchung steht an erster Stelle die Frage, wie Konvergenzen im öffentlichen Diskurs verschiedener Länder innerhalb dieses europäischen Kommunikationsraumes entstehen. In einem zweiten Schritt soll nach den Auswirkungen der konstatierten Konvergenzen auf politische Entscheidungen sowohl auf nationaler, als auch auf supranationaler Ebene gefragt werden.

Dieser Ansatz soll am Beispiel von Umweltfragen auf seine Tauglichkeit zum Beschreiben der jüngeren europäischen Geschichte geprüft werden, da Probleme wie der Schutz von Natur bzw. von Naturerbe, die Energieversorgung, und hier insbesondere die Nutzung von Atomkraft, aber auch die nachhaltige Nutzung von natürlichen Ressourcen ein lebhaftes öffentliches Interesse in ganz Europa geweckt haben bzw. wecken.

Wie und in welchen Zeiträumen wirken sich Konvergenzen innerhalb des europäischen Kommunikationsraumes auf politische Entscheidungsprozesse aus?

Im Zuge der 1970er Jahre erhielten diese Fragen im öffentlichen Raum einen neuen Stellenwert, weshalb die Zeitspanne von gut 40 Jahren seit der Ausrufung des Europäischen Jahres der Natur durch den Europarat 1970 im Fokus der Untersuchung stehen soll. Gleichzeitig muss jedoch auch die diesen Fragen innewohnende Dimension der longue durée berücksichtigt werden, die zum Teil bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts reicht.

Eine solche, empirisch angelegte Studie muss von einer Analyse der Wahrnehmung dieser Fragen in den verschiedenen nationalen Kommunikationsräumen ausgehen. Darauf aufbauend sollen Bewegungen, Vereine und NGO’s untersucht werden, die sich mit Umweltfragen beschäftigen und die in einem oder auch mehreren Ländern aktiv waren. Ihnen kommt als Motor und Resonanzraum dieser Debatten eine zentrale Funktion nicht nur auf nationaler Ebene, sondern aufgrund ihrer Vernetzung auch auf supranationaler Ebene zu. Hier schließt sich die Beschäftigung mit der parlamentarischen Arbeit sowohl auf nationaler als auch auf europäischer Ebene an, die Debatten aufgreift sowie auf die Aktivitäten von NGO’s reagiert, und damit Themen und konkreten Forderungen verstärkt Eingang in politische Entscheidungsprozesse verschafft. Und schließlich ist nach den Auswirkungen auf die politische Agenda der verschiedenen Regierungen und Staatschefs zu fragen. Die vergleichende Dimension des Themas, wobei dem deutsch-französischen Beispiel besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden soll, ist jedoch nur Ausgangspunkt, um dem Transfer von Ideen, Konzepten und Wahrnehmungsmustern zwischen den verschiedenen nationalen Kommunikationsräumen nachgehen zu können. Neben dem Rückgriff auf die vergleichende Diskursanalyse gilt es, sich insbesondere mit jenen Institutionen und Personen zu beschäftigen, die bewusst und unbewusst als Vermittler zwischen nationalen Kommunikationsräumen tätig waren. Die Beschäftigung mit derartigen Verflechtungen ist wiederrum Voraussetzung für die Auseinandersetzung mit der europäischen Dimension des Themas und der zentralen Frage, unter welchen Voraussetzungen und in welchen Zeiträumen Fragen des öffentlichen Interesses, wie zum Beispiel die genannten Umweltfragen, zum Gegenstand europäischer Politik werden können.

Aktivitäten zum Forschungsprojekt