Forschungsprojekt

Rebellion identifizieren und verstehen. Eine Ideengeschichte der antihabsburgischen Aufstände im Königreich Ungarn (1664–1678)


Zwischen 1664 und 1678 manifestierte sich innerhalb des habsburgischen Ungarns ein »Klima« der Rebellion: Im Anschluss an ein Komplott der ungarischen Aristokratie gegen Kaiser Leopold I., die sogenannte Wesselényi-Verschwörung, ermittelten die Autoritäten im Königreich Ungarn präventiv gegen vermeintlich aufständische Bevölkerungsgruppen. Hunderte von Untertanen mussten sich aufgrund des Tatverdachts der Rebellion vor den Behörden verantworten. Bei der Bevölkerung provozierte das Vorgehen ihrer Obrigkeit eine Art Trotzreaktion: Sie lehnten sich umso mehr gegen die bestehende Ordnung auf und stellten diese zunehmend in Frage.

Das Dissertationsprojekt von Sabrina Rospert nähert sich dieser Epoche der ungarischen Geschichte aus einer ideen- und diskursgeschichtlichen Perspektive: Die Quellengrundlage des Projekts bilden zunächst Akten administrativ-juridischer Natur, in welchen die habsburgischen Behörden ihre Ermittlungen gegen die Rebellion im Königreich dokumentierten. Zusätzlich stützt sich die Arbeit auf ein Ensemble von Bittschriften und Zeugenaussagen – hier nahm die Bevölkerung selbst zum Phänomen der Rebellion im Königreich Stellung. Bei der Durchsicht des vornehmlich in Österreich, Ungarn und der Slowakei gesichteten Archivmaterials konnten über 300 Fälle ausgemacht werden, in denen die habsburgische Obrigkeit zwischen 1664 und 1678 gegen vermeintliche Rebellen ermittelten. Das Projekt macht sich die erhobenen Fälle konkret zunutze, um zu ergründen, was im ungarischen Königreich unter aufständischem Verhalten verstanden wurde. Wie definierten die Zeitgenossen Rebellion und welche Vorstellungen zirkulierten diesbezüglich nicht nur unter den obrigkeitlichen Akteuren, sondern auch innerhalb der Bevölkerung?

Das Projekt setzt es sich zum Ziel, der Beteiligung der breiten Bevölkerung an der normativen und praxeologischen Ausformung des Phänomens der Rebellion den historisch verdienten Anteil zuzuweisen.

Die Doktorandin geht dabei der These nach, dass die zeitgenössischen Vorstellungen bezüglich der Rebellion im habsburgischen Ungarn grundsätzlich in Konkurrenz zueinander standen, sich aber auch ergänzten: Der Dialog zwischen verschiedenen Bevölkerungsschichten einerseits und der Obrigkeit andererseits führte langfristig zu einer Neudefinition von Rebellion und der mit ihr in Verbindung stehenden Normen und Praktiken. Ein ideengeschichtlicher Ansatz erlaubt es, eine neue Perspektive auf dieses soziale Phänomen einzunehmen: Der Blick der Protest- und Konfliktforschung auf die Rebellion als vormodernes, rein obrigkeitliches Instrument zur Untertanendisziplinierung wird durch eine Perspektive »von unten« erweitert und geschärft. Das Projekt setzt es sich zum Ziel, der Beteiligung der breiten Bevölkerung an der normativen und praxeologischen Ausformung des Phänomens der Rebellion den historisch verdienten Anteil zuzuweisen.

Bildnachweis: Ansicht des Grenzhauses Putnok in Oberungarn, Kupferstich, 1677 - Deutsche Fotothek, Germany - CC BY-SA.