
Wann: 19.–21. November 2025
Wo: DHIP
Einreichungsfrist: 14. Februar 2025
Angesichts der Zunahme EU-kritischer Bewegungen, Krieg sowie antidemokratischer Tendenzen auf dem europäischen Kontinent erlangen konkurrierende Konzepte, Geschichten und Narrative von Europa im 21. Jahrhundert große Bedeutung. Dasselbe gilt für einen Dialog über widersprüchliche und geteilte historische Narrative, der erforderlich ist, wenn sich die sprichwörtliche Einigung in Vielfalt und die damit verbundenen demokratischen Werte auf dem europäischen Kontinent entfalten sollen. Diese Tagung geht von der Annahme aus, dass – soziale, politische, geschlechtsbezogene, ethnische oder religiöse – Vielfalt zwar oft als Ursache von Problemen dargestellt wird, jedoch für Europa in der Gegenwart und Zukunft auch ein Mittel sein kann, um der Erosion von Demokratie und gesellschaftlichem Zusammenhalt entgegenzuwirken. Die Auseinandersetzung mit sozial marginalisierten Positionen, subalternen Sichtweisen und historischen Peripherien hält demnach wichtige Impulse für eine kritische Reflexion und Neubetrachtung Europas bereit, weil sie etablierte Darstellungen um die Perspektiven »anderer Europas« und »anderer Europäerinnen und Europäer« ergänzt (z. B. El-Tayeb 2011; Fornäs 2017; Gasser 2021; Otele 2020; Polland et al. 2020).
Diese Tagung bringt internationale Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen verschiedener Disziplinen zusammen, um Europa und seine Geschichte aus marginalisierten, peripheren und subalternen Perspektiven zu untersuchen. Sie fragt, inwieweit sich Konzepte, historische Darstellungen und Narrative von »Europa« verändern, wenn sie von Gruppen (neu) erzählt werden, die keinen oder wenig Zugang zu (politischer, wirtschaftlicher, sozialer) Macht haben bzw. soziale oder kulturelle Marginalisierung – z.B. aufgrund von Nationalität, Hautfarbe, Klasse, Geschlecht, Religion, Alter oder Sexualität – erfahren. Damit knüpft die Tagung zum einen an eine Reihe jüngerer Forschungsarbeiten an, die lineare, erfolgsorientierte oder binäre Narrative von Europa dekonstruieren und zugleich neue Perspektiven auf die Geschichte der europäischen Integration eröffnen (z. B. Patel 2018 und 2022; Soutou 2022; Leucht et al. 2020; Ruppen Coutaz und Paoli 2024). Zum anderen möchte sie diese Forschungen erweitern, indem sie Subalternität und Intersektionalität als analytisch vielversprechende Konzepte einbringt. Obwohl beide Konzepte in den Geschichts- und Kulturwissenschaften lange etabliert sind, enthalten sie für eine transnationale Geschichte Europas, die nicht aus einem einzigen Blickwinkel oder aus Top-Down-Perspektiven, sondern vielmehr in einem geografisch und sozial erweiterten Rahmen erzählt werden, nach wie vor großes Potential. Wir argumentieren, dass solche Geschichten, die etwa die Perspektiven von Arbeitsmigrantinnen und Arbeitsmigranten, Geflüchteten, Arbeiter und Arbeiterinnen, Frauen, Jugendlichen, Nicht-Staatsbürger und -Staatsbürgerinnen, Minderheiten sowie diversen, aufgrund von Hautfarbe, Ethnizität oder sexueller Identität kategorisierten und diskriminierten Menschen berücksichtigen, einen vielversprechenden Ausgangspunkt bieten, um normative, hegemoniale oder romantisierte Visionen von Europa und seiner Vergangenheit zu dekonstruieren.
Die Tagung berücksichtigt ein breites fachliches Spektrum aus Geschichtswissenschaft, Soziologie sowie Literatur- und Kulturwissenschaft. Wir freuen uns auf Beiträge, die sich auf Europa in der Zeit zwischen dem 19. und dem 21. Jahrhundert konzentrieren, und eines oder mehrere der folgenden Themen behandeln:
- Geschichten über Europa oder Europäisierungsprozesse aus marginalisierten, peripheren oder subalternen Perspektiven und ihr Potenzial, blinden Flecken in der Geschichtsschreibung zu begegnen und/oder Konflikte und widersprüchliche Erinnerungen zu bearbeiten,
- historisch variable Konzepte eines »anderen Europas«,
- alternative Europavorstellungen in historischer Perspektive, historische Visionen »anderer Europas« als Bezugspunkt oder »Lehre« für die Gegenwart,
- Konzepte von Europa in Bezug auf den geografischen Raum, wechselnde Konstellationen von Zentren und Peripherien, polyzentrische oder dezentrierte Ansätze,
- konzeptionelle Ansätze zur Untersuchung »anderer Europas« in Vergangenheit und Gegenwart (z.B. »von unten«, »von den Rändern«, »Dezentrierung«, »Dekolonisierung«, »Queering«, »Schwarzes Europa«) und ihre analytischen Potentiale und/oder politischen Implikationen,
- »Europa« als eine (positiv oder negativ aufgeladene) Vision oder Bezugspunkt in sozialer Kritik oder in politischen Bewegungen in Vergangenheit und Gegenwart,
- die Wirkungsweisen historischer Erzählungen über Europa in aktuellen kulturellen Kontexten und ihre politischen Inanspruchnahmen,
- die Wirkungsweisen von (antieuropäischen) Diskursen des Anti-Elitismus in populistischen, rechten oder linken Erzählungen über und Visionen für Europa in Vergangenheit und Gegenwart,
- Erzählungen über Europa in verschiedenen Genres und Medien – transgenerische und intermediale Perspektiven.
Wir freuen uns auf Vorschläge im Umfang von 500 Wörtern für Beiträge in Englisch, Französisch oder Deutsch, denen ein kurzer Lebenslauf (maximal 1 Seite) beigefügt ist. Bitte senden Sie diese bis zum 14. Februar 2025 an nmay@dhi-paris.fr.
Die Kosten für Reise und Unterkunft (in der Regel zwei Übernachtungen) werden bei erfolgreicher Einwerbung von Drittmitteln durch die Veranstalter übernommen.
Bildnachweis: Fiktive Flagge, erfunden vom niederländischen Architekten Rem Koolhaas im Jahr 2002, copyright OMA / AMO.
Other Europes: Concepts, Histories, Narratives
When: 19–21 november 2025
Where: German Historical Institute, Paris
Submission deadline: 14 february 2025
In the wake of anti-EU movements, the return of full-blown war and growing anti-democratic tendencies on the European continent, competing concepts, histories and narratives of Europe loom large in the 21st-century present. So does, by the same token, the need for dialogue over conflicting and shared historical narratives if Europe’s proverbial unity in diversity and the underlying democratic values are to unfold. This conference starts from the assumption that while–social, political, gender, ethnic or religious–diversity is often seen as a cause of problems it may also serve as a means to counter recent trends of eroding unity, democracy and societal cohesion in Europe today and in the future. Indeed, socially marginalized positions, subaltern perspectives and historically shifting peripheries can be seen as vital to critically assessing and rethinking Europe by adding more plural, polyvocal accounts of »other Europes« and »other Europeans« (e.g. El-Tayeb 2011; Fornäs 2017; Gasser 2021; Otele 2020; Polland et al. 2020).
Bringing together international scholars of various disciplinary backgrounds, the conference seeks to examine Europe and European history from marginalized, peripheral and subaltern perspectives. More specifically, it asks how concepts, histories and narratives of »Europe« are changed or altered once they are retold by groups that lack access to (political, economic, social) power, or that experience societal or cultural marginalization on grounds of, e.g., nationality, race, class, gender, religion, age or sexuality. By doing so, the conference not only builds on recent works that have deconstructed linear, success-oriented or binary narratives and opened up long-term perspectives on European integration (e.g. Patel 2018 and 2022; Soutou 2022; Leucht et al. 2020; Ruppen Coutaz and Paoli 2024). We also aim to enrich these perspectives by proposing subalternity and intersectionality as promising concepts to engage with marginal(ized) voices and peripheral locations. While both concepts are well established in historical and humanities scholarship, they are still waiting to be fully explicated and put to use for transnational histories of Europe–histories that are not told from a single point-of-view or elite perspective, but rather from a geographically and socially more inclusive scope. Such histories, we argue, provide a fruitful starting point to further rethink and put into perspective mainstream accounts, as well as to deconstruct normative, hegemonic or romanticised visions of Europe and its past. Among others, they stand to include labour migrants, refugees, workers, women, youths, non-citizens and minorities, as well as people categorized or »othered« due to social constructions of ethnicity, race or sexual identity.
Bringing to bear a broad spectrum from history, sociology, literary and cultural studies, we invite papers that focus on the period from the nineteenth to the 21st-century and contribute to our understanding by addressing one or more of the following themes:
- histories of Europe or processes of Europeanization from marginalised, peripheral or subaltern perspectives and their potential to counter blind spots in mainstream historical accounts and/or to work around conflicts and conflicting memories
- historically variable concepts of »other Europes«, of envisioning Europe otherwise in relation to a given mainstream account
- alternative European imaginaries in historical perspective, past »other Europes« as a point of reference or »lesson« for the present
- conceptual approaches to studying »other Europes« in the past and present (e.g. »from below«, »from the margins«, »decentering«, »decolonizing«, »queering«, »black Europe«) and their analytical affordances and/or political implications
- »Europe« as a (positively or negatively charged) vision or point of reference in social critique or political activism in past and present
- the workings of historical narratives of Europe in present cultural contexts and their political uses
- the workings of (anti-European) discourses of anti-elitism in populist, right- or left-wing narratives of, and visions for, Europe in the past and present
- narratives of Europe and European history in different genres and media – transgeneric and intermedial perspectives
We welcome proposals of 500 words for papers in English, French or German, accompanied by a brief CV (maximum 1 page). Please send them to nmay@dhi-paris.fr by February 14, 2025.
In the event of our application for conference funding being successful we will be able to cover travel and accommodation costs.
» Read the Call for papers (PDF)
Image: Fictional flag, invented by Dutch architect Rem Koolhaas in 2002, copyright OMA / AMO.