Identifying maritime Women. A different History of Seafaring ca. 1650–1850
Schon seit dem 18. Jahrhundert nehmen ›Frauen an Bord‹ – fast immer in Gestalt einer freiheitsliebenden Piratin oder Piratenbraut – einen festen Platz in populären Medien und Geschichtsinszenierungen ein. Dies umfasste zunächst Nachrichtenlieder, Flugschriften und frühe Historienwerke, dann Romane und Opern und schließlich Filme und Computerspiele.
Die Geschichtswissenschaft hat Frauen an Bord in maritimen Arbeits- und Lebenswelten seit den 1980er Jahren mehrfach in den im Fokus genommen. Studien haben seitdem gezeigt, dass sie nicht nur weitaus häufiger und in vielfältigeren Funktionen an Bord von Schiffen waren als populäre Medien behaupten, sondern auch, dass sie als Investorinnen, Händlerinnen, Dienstleisterinnen, Arbeiterinnen oder Kapitänsfrauen weite Teile der Seefahrt im vormodernen Europa erst möglich machten. Diese Untersuchungen sind jedoch kaum miteinander in Beziehung gesetzt und für internationale Vergleiche genutzt worden.
Hier setzt das Forschungsprojekt mit einer umfassenden Synthese französischer, amerikanischer, britischer, deutscher und niederländischer Forschung an. Hinzu kommen eigene Fallstudien zu englischen und französischen Hafenstädten, in denen Fragestellungen und Methoden aus unterschiedlichen nationalen Forschungstraditionen kombiniert werden. Untersucht werden einerseits die Präsenz und Bedeutung historischer Akteurinnen in maritimen Räumen und andererseits die Konstruktion von Geschlechterrollen und -grenzen in einem historiographisch meist als exklusiv maskulin beschriebenen Kontext. Dies bezieht sich sowohl auf Akteurinnen an Bord, wie die berühmten Piratinnen der Karibik, als auch in Hafenstädten. Hierbei kann das Projekt an die neue Militärgeschichte anknüpfen, die für militärische Handlungs- und Lebensräume seit den 1990er Jahren erfolgreich Methoden und Fragestellungen etabliert hat, um historische Akteurinnen in den Blick zu nehmen und zugleich Konstruktionen historischer Männlichkeit besser zu verstehen.
Zeitlich fokussiert das Projekt die zweite Hälfte des klassischen Age of Sail. Die Seefahrt ist in dieser Zeit von weitreichenden Veränderungen geprägt, die auch Bezüge zum Forschungsprojekt Pays de Guerre eröffnen. Hierzu gehören der Aufbau von obrigkeitlichen Institutionen zur Normierung und Organisation von Kriegsmarinen, die Kooperation von Obrigkeiten und freien Vertragspartnern im Zuge der frühmodernen Staatsbildung sowie Verbesserungen in Navigation, Schiffbau und Versorgung, welche die Planbarkeit und Häufigkeit von Seereisen erhöhten. Das Ende des Untersuchungszeitraums ist bestimmt von der Umwälzung maritimer Lebens- und Arbeitswelten durch Dampfschiffe, Kreuzfahrten und Tourismus.
Räumlich bilden Großbritannien und die französische Monarchie die Schwerpunkte der Synthese. Zum einen, weil die Forschung zu maritimen Frauen in beiden Fällen erhebliche methodische Unterschiede aufweist und zum anderen, weil Frankreich damals der wichtigste merkantile und koloniale Rivale Großbritanniens war. Insofern bewegt sich dieses Projekt vor dem Hintergrund einer Konkurrenz beider Mächte um globale Handelsrouten, Prestige und koloniale Einflusssphären.
Bildnachweis: Hafenansicht aus der Serie »Les vues des ports de France«, erstellt im Auftrag Ludwigs XV. Claude Joseph Vernet, L’Entrée du port de Marseille, 1754, Wikimedia Commons.