Neueste Geschichte und Zeitgeschichte

Forschungsprojekt

Die zentrale Peripherie. Wohnraum und Wohnsegregation in den 1970er und 1980er Jahren am Beispiel Lyon.


An der Schnittstelle zwischen Stadtgeschichte und Sozialgeschichte untersucht dieses Forschungsprojekt die Wohnsegregation in den 1970er und 1980er Jahren anhand des Fallbeispiels Lyon, insbesondere des 3. und 6. Arrondissements. Im Zentrum stehen die Problematisierung heruntergekommener Altstadtviertel im angegebenen Zeitraum sowie die Sanierungsmaßnahmen zur Umgestaltung dieser Viertel und deren Auswirkungen für Stadtgesellschaft und Stadtraum.

Lyon gehört zu den französischen und europäischen Städten, die sich ab den 1970er Jahren plötzlich Sorgen um die Entstehung von »Ghettos« machten und daher Gegenmaßnahmen ergriffen. Der vermutete Zusammenhang zwischen einem hohen Anteil an Einwanderern, der Verschlechterung der Wohnsituation und potenziellen städtischen Konflikten war der Ausgangspunkt für diese Bedenken. Die Maßnahmen zur Bekämpfung der »Ghettoisierung« umfassten unter anderem die Beauftragung von Studien, um eine Bestandsaufnahme zu ermöglichen und eine bessere Kenntnis des bestehenden städtischen und sozialen Gefüges zu erhalten. Um das soziale »Gleichgewicht« in den Vierteln zu wahren, wurden außerdem restriktive Kriterien und Quoten angewandt, die den Zugang zu Sozialwohnungen oder zu bestimmten Vierteln begrenzen sollten, die als übermäßig von Einwanderern bewohnt galten. Die Sorge um den städtebaulichen und sozialen Niedergang des Stadtzentrums diente dazu, mehr oder weniger ausdrücklich, Renovierungs- und Sanierungsprojekte zu legitimieren, die zur Umsiedlung der ehemaligen Bewohner und Bewohnerinnen führte.

Lyon gehört zu den französischen und europäischen Städten, die sich ab den 1970er Jahren plötzlich Sorgen um die Entstehung von ›Ghettos‹ machten und daher Gegenmaßnahmen ergriffen. [...] Eleonora Marchioni bezeichnet diese ›ghettoisierten‹ Viertel als ›zentrale Peripherie‹. Sie weisen Eigenschaften auf, die üblicherweise mit der Peripherie assoziiert werden (Marginalisierung, Isolation, physischer und sozialer Verfall des Viertels), befinden sich aber im Herzen europäischer Städte.

Eleonora Marchioni bezeichnet diese »ghettoisierten« Viertel als »zentrale Peripherie«. Sie weisen Eigenschaften auf, die üblicherweise mit der Peripherie assoziiert werden (Marginalisierung, Isolation, physischer und sozialer Verfall des Viertels), befinden sich aber im Herzen europäischer Städte. Das Projekt fragt, welche Akteure, Faktoren und Praktiken zur Transformation dieser »zentralen Peripherie« beigetragen haben.

Das Forschungsprojekt verbindet mehrere historiografische Bereiche. Zunächst gehört es zur Stadtplanungsgeschichte, da es sich auf städtebauliche Veränderungen in alten Stadtzentren konzentriert. Zweitens nutzt die Arbeit Überlegungen aus der Geschichtsschreibung zu Raumvorstellungen und -bildern, insbesondere über die Reputation von Orten. Diese Vorstellungen akkumulieren sich im Laufe der Zeit, ohne zu verblassen. Die Beschäftigung mit diesen Aspekten erlaubt es, mögliche Erklärungen für Raumungleichheiten zu finden. Schließlich spielt auch die Geschichte von Ungleichheiten, Diskriminierung und Ausgrenzung im städtischen Raum eine wichtige Rolle.

Aus methodischer Sicht kombiniert das Projekt einen Blick »von oben« (Projekte der Stadtverwaltung, Studien von Expertinnen und Experten der Stadtsoziologie) mit einer Perspektive »von unten«, aus der Zivilbevölkerung: Stimmen von Bewohnerinnen und Bewohnern, Studien und Protokolle des Vereins ALPIL (Action lyonnaise pour l’insertion par le logement). Das Projekt stützt sich hauptsächlich auf folgende Quellen: lokale Presseumfragen unter den von den Sanierungsmaßnahmen betroffenen Bewohnerinnen und Bewohnern; Berichte und Programme wissenschaftlicher Veranstaltungen (Konferenzen, Studientage und Seminare) zu den Themen Wohnen, Integration und Segregation; Protokolle und Tätigkeitsberichte von Akteuren wie ALPIL; die Unterlagen von Experten , etwa Sozialwissenschaftlerinnen und Sozialwissenschaftlern, die sich mit der Frage des Wohnens beschäftigten; sowie städtebauliche Programme der Stadt.

Bildnachweis: Skyline der Stadt Lyon, Foto: Sébastien Artaud (@artd_photo)