Neuere und Neueste Geschichte

Forschungsprojekt

Dritte Republik und deutsche Bevölkerung: Geschichte der französischen Einbürgerung im ehemaligen Elsass-Lothringen nach dem Ersten Weltkrieg (1918–1939)


Staatsangehörigkeit und Staatsbürgerschaft wurden im Laufe des späten 19. und 20. Jahrhunderts zur bestimmenden Kategorie politischer und rechtlicher Zugehörigkeit in Europa. In Frankreich erfuhren sie eine zunehmende Institutionalisierung, die auch den Zugang mittels der Einbürgerung grundlegend reformierte, sich in die Herausbildung des modernen Verwaltungsstaates einschrieb und historische Konjunkturen wie zum Beispiel sich verändernde Nationsbilder, demographischer Wandel und industrielle Expansion spiegelte.

Das Forschungsprojekt untersucht die Geschichte der Staatsangehörigkeit in transnationaler Perspektive am Beispiel der deutschen Bevölkerung in Elsass und Lothringen nach 1918. Wie setzte die Dritte Republik, unter dem Eindruck des Ersten Weltkriegs, hier zu einer umfassenden Identifizierung und Klassifizierung an? Deutsche »immigrés«, das heißt Personen, die nach dem deutsch-französischen Krieg von 1870 ins Reichsland gekommen waren, mussten die französische Staatsangehörigkeit beantragen, wollten sie nicht als Ausländer in einem Land leben, das ihnen über die Jahre zur Heimat geworden war bzw. in dem die zweite Generation von ihnen geboren worden war. Hier hebt das Projekt auf die Entwicklung der französischen Immigrationspolitik seit dem späten 19. Jahrhundert ab, die zwischen einer zunehmenden Integration von Immigranten und der Errichtung gestaffelter Auslese- und Exklusionsmechanismen changierte. Als fast einziges Land in Europa und darüber hinaus betrieb Frankreich nach dem Ersten Weltkrieg eine intensive Politik der Anwerbung ausländischer Arbeitskräfte, ordnete die Klassifizierung der im Land lebenden Immigranten zugleich aber Erwägungen im Hinblick auf soziale Nützlichkeit, Bedürfnisse des Arbeitsmarktes und moralische Vorstellungen des »guten Franzosen« unter.

Das Forschungsprojekt
untersucht die Geschichte der Staatsangehörigkeit in transnationaler Perspektive
am Beispiel der deutschen Bevölkerung in Elsass und Lothringen nach 1918.

Davon war auch der behördliche Umgang mit der Bevölkerung in den zurückgewonnenen Gebieten und die administrative Erfassung der hier lebenden Deutschen geprägt. In einer mikrogeschichtlichen Analyse fragt das Projekt nach der Einführung und Anwendung der staatlichen Einbürgerungspolitik, den darin involvierten Instanzen und Begutachtungsverfahren der Einbürgerungsanträge von deutschen Immigranten. Gleichzeitig wird gezeigt, wie sich die Antragsteller mit dem Verfahren arrangierten, wie sie durch die Akten hindurch als Akteure in einem transnationalen Umfeld in Erscheinung traten, dabei gleichzeitig ihre lokale Verwurzelung und Sesshaftigkeit als Ausweis von Stabilität und Verbundenheit zum neuen Staat zu betonen suchten. Um Franzose zu werden, mussten sie sich einem komplexen, arbiträren und über viele Jahre hinweg andauernden Verfahren unterziehen, dessen Ablauf und Hintergründe für sie kaum zu durchschauen waren. Aus französischer Sicht war der Fall der Deutschen Teil der Entwicklung der Einbürgerung in der Zwischenkriegszeit, die in das wichtige Nationalitätsgesetz von 1927 mündete. Mit diesem Gesetz wurde der Zugang zur Staatsangehörigkeit zwar liberalisiert, die Prinzipien der Beurteilung und gestaffelten Aufnahme in die Staatsbürgerschaft aber enger gezogen.

Schließlich untersucht das Projekt die Einbürgerung der Deutschen im Kontext des Versailler Friedensschlusses, des Einflusses internationalen Rechts auf nationale Institutionen und Regularien von Migration und Staatsangehörigkeit. Die Deutschen wurden zu einem Teil der Pariser Ordnung von 1919 und Gegenstand internationaler Austausch- und Verständigungsprozesse im Umgang mit Minderheiten während der Zwischenkriegszeit. Zugleich stellte der Versailler Vertrag die rechtliche Grundlage für die Einführung der Gesetzgebung der Dritten Republik in Elsass und Lothringen dar, während die Frage der Einbürgerung der Deutschen von Juristen und Rechtstheoretikern beiderseits des Rheins aufmerksam verfolgt und kommentiert wurde.

Bildnachweis: Einbürgerungsakte, Archives nationales BB 11 8571.