Forschungsprojekt

Demokratie im Ausnahmezustand

Forschungsstart-Stipendiat, 2016–2017 am DHIP

Blog Demokratie im Ausnahmezustand


Der Ausnahmezustand, so könnte man angesichts der jüngsten politischen Entwicklungen weltweit meinen, ist zum Dauerzustand geworden. In Frankreich, der Türkei, in Spanien, den USA oder auf den Marshall-Inseln – überall hat die Regierung in jüngerer Vergangenheit wegen Terrorismus, Streik, vermeintlicher Putschversuche, Aufstände, Unruhen und Klimaveränderungen den Ausnahmezustand verhängt.

Der Ausnahmezustand ist keineswegs ein modernes Phänomen, sondern ein klassisches Instrument zur Durchsetzung von Herrschaft. Republiken, so hat es Niccolò Machiavelli formuliert, die nicht in höchster Not zum Mittel der Diktatur greifen, sind verloren. In diesem Satz vereint der Staatsdenker aus Florenz jene politische Selbstverständlichkeit, die von der römischen Republik bis in die Gegenwart hinein die Logik staatlicher Krisenreaktion bestimmt hat. Angesichts einer Krise, die die Integrität des Staates existenziell bedroht, gilt es, alle Macht zu bündeln, um die Krise abzuwehren.

Praktiken der Rechtssuspendierung bedeuten unweigerlich den Verlust substanzieller demokratischer Qualität

Für das Rechtsinstitut der römischen Diktatur, über die Prärogative bei John Locke bis hin zum Ausnahmezustand in modernen, repräsentativen Demokratien funktioniert Krisenabwehr nach immer gleichem Muster: Nach ihrem Eintritt erfolgt die Konzentration der Kompetenzen bei der Regierung, was in der Regel mit einer – zeitlich begrenzten – Aufhebung von Grund- und Freiheitsrechten einher geht. Die Politische und die Rechtstheorie haben ausführlich über Fragen des Verhältnisses von Norm und Ausnahme in einem Rechtsgefüge diskutiert. In jüngster Zeit hat Giorgio Agamben in gouvernementalitätskritischer Perspektive auf eine Tendenz in westlichen Demokratien hingewiesen, wonach mit Praktiken der Rechtssuspendierung ein Verlust substanzieller demokratischer Qualität einhergehe.

Ziel des Projektes ist es zu verstehen, wie es der Regierung in repräsentativen Demokratien gelingt, den Ausnahmezustand immer wieder als konstruktive Problemlösung erscheinen zu lassen. Konstitutiv für kollektive Entscheidungsfindung in der repräsentativen Demokratie ist der Diskurs in der politischen Öffentlichkeit. Anhand der Auswertung von Parlamentsprotokollen und Tagespresse, in denen sich politische Öffentlichkeit wesentlich manifestiert, werden für ausgewählte Fallbeispiele die konkreten Plausibilisierungsstrategien zugunsten der Verhängung von Ausnahmezuständen rekonstruiert und zu Mustern verdichtet. Durch die Anwendung einer Blended Reading-Strategie, die die händische Auswertung des Textmaterials ebenso einschließt wie Verfahren der Digital Humanities, wird sich zeigen lassen, ob spezifische Plausibilisierungsmuster – Othering, Effizienz, Verletzlichkeit – zunehmend auch jenseits von Krisen im politischen Alltag überdauern.

Ließe sich eine solche Übergriffigkeit der Plausibilisierungen nachweisen, dann wäre hinsichtlich des Verhältnisses von Demokratie und Ausnahmezustand zudem klar, dass die Frage nach den Grenzen von Regierungshandeln angesichts existenzieller Bedrohungen, wie Carl Joachim Friedrich sie einmal aufgeworfen hat, einer Antwort bedarf, die entschieden für Begrenzung plädiert. Erscheint er dennoch unumgänglich, dann gilt es wenigstens zu erinnern, was Clinton L. Rossiter einmal über den Ausnahmezustand angemerkt hat. Dieser sei, so heißt es in seiner Studie von 1948, eine gefährliche Angelegenheit.

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