Forschungsprogramm

Die Bürokratisierung afrikanischer Gesellschaften

Wissenschaftliche Programmleitung 2021:
Dr. Amadou Dramé

Wissenschaftliche Programmleitung 2017–2020:
Dr. Susann Baller


Institutionelle Struktur

Die transnationale Forschungsgruppe (TFG) »Die Bürokratisierung afrikanischer Gesellschaften« beruhte auf einer Kooperation zwischen dem DHIP und dem Centre de recherches sur les politiques sociales (CREPOS). Von 2017 bis 2021 wurde die TFG von der Max Weber Stiftung gefördert. Als wissenschaftliche Leitung hat Dr. Susann Baller das Forschungsprofil und das wissenschaftliche Programm über die ersten vier Jahres (bis Dezember 2020) entwickelt und umgesetzt. 2021 hat Dr. Amadou Dramé die wissenschaftliche Koordination übernommen. Das Vorgängerprojekt »Identité, identification et bureaucratisation en Afrique subsaharienne (XIXe–XXIe siècle)« wurde von Dr. Séverine Awenengo Dalberto geleitet. Es wurde im November 2016 für einen Zeitraum von drei Jahren lanciert und ab 2017 in die TFG als »Achse 1« integriert.

Insgesamt wurden neun Doktoranden und Doktorandinnen und sieben Postdocs aus dem Senegal, aus Deutschland, Frankreich und anderen Ländern in Europa und Afrika mit Stipendien einer Dauer von 2 bis 4 Jahren gefördert (eine detaillierte Liste der Stipendiaten und Stipendiatinnen finden Sie unten).

Das Forschungsprogramm ermöglichte einen akademischen Austausch insbesondere mit der Universität Cheikh Anta Diop (UCAD) in Dakar, aber auch mit anderen öffentlichen Universitäten im Senegal: der Universität Gaston Berger (UGB) in Saint-Louis und der Universität Assane Seck in Ziguinchor (UASZ).

Die TFG wurde in ihren Aktivitäten und strategischen Entscheidungen von einem Leitungsgremium begleitet. Es setzte sich aus Vertretern und Vertreterinnen der Partnerinstitutionen zusammen: DHIP, CREPOS, Programm Point Sud (Bamako)/Goethe-Universität Frankfurt am Main, Humboldt-Universität zu Berlin und dem Centre de recherches internationales (CERI) des Institut d’études politiques in Paris (Sciences Po) (eine detaillierte Liste der Mitglieder finden Sie unten).

Von 2018 bis 2020 kooperierte die TFG mit dem Maria Sibylla Merian Institute for Advanced Studies in Africa (MIASA) an der University of Ghana in Legon (Accra). MIASA wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und der University of Ghana finanziert. Im September 2020 begann die sechsjährige Hauptphase des Projekts.

Inhaltliches Profil

Das Forschungsprogramm untersuchte die Ausbreitung, Aneignung und Aushandlung bürokratischer Praktiken in kolonialen und postkolonialen Kontexten in Afrika und der afrikanischen Diaspora auf lokaler, nationaler und transnationaler Ebene. Bürokratie verweist auf die systematische Nutzung von Normen, Regeln, Standardisierungen und/oder Kategorisierungen, die darauf zielen, Herrschaft zu produzieren und zu legitimieren. Oftmals wird Bürokratie allein mit dem Staat und eigens ausgebildeten Verwaltungseliten assoziiert. Dabei sind Bürokratisierungsprozesse nahezu allgegenwärtig und keineswegs allein auf staatliche Strukturen beschränkt. Bürokratische Praktiken werden nicht nur »von oben«, also innerhalb staatlicher Institutionen und Verwaltungssysteme, ausgeführt, oktroyiert und/oder in Szene gesetzt, sondern auch »von unten« im Alltag nichtstaatlicher Akteure, wie zum Beispiel in Vereinen, NGOs, Kirchen, im Handel, in Kooperativen u.a., erfunden, herausgefordert und neuformuliert (Hibou 2012). In der TFG ging es um die »cité bureaucratique« (Bayart 2013) in all ihren politischen, sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Facetten. Zudem hat Ralph Austen (2011) darauf verwiesen, zugleich die Dimension der »Mitte« (»from the middle«) zu betrachten, die Perspektive all jener, die meist als »Mediatoren« fungieren, als »Übersetzer« im wörtlichen und übertragenem Sinne.

Bürokratisierungsprozesse sind nahezu allgegenwärtig und beschränken sich keineswegs allein auf staatliche Strukturen.

Im Zentrum der TFG standen die bürokratischen Praktiken selbst (das Erstellen von Statistiken und Registern, das Verfassen von Berichten und Korrespondenzen u.a.), die grundlegenden Bestandteile bürokratischer Prozesse (Zahlen, Papier, Ordnungssysteme, Stempel u.a.) sowie die Orte und Räume bürokratischer Produktion (das Büro, das Bürogebäude wie auch die Wege bürokratischen Schriftverkehrs). Anlehnend an Mudimbes Konzept der »kolonialen Bibliothek« schaffen die Expertensysteme, auf denen Bürokratisierung basiert, eine »bürokratische Bibliothek« – und ihre Archive. Doch ähnlich wie bei der Auseinandersetzung mit der »kolonialen Bibliothek« verlangt auch die »bürokratische Bibliothek« nach einer komplexen Erforschung gegen den Strich und zwischen den Zeilen (sowie über das zu Papier gebrachte hinaus). Zum einen bildeten und bilden bürokratische Praktiken eine massive Intervention in afrikanische Gesellschaften, eine Intervention, die bis an die Ränder afrikanischer Staaten erfahrbar ist (Das und Poole 2004). Zum anderen ist diese »bürokratische Bibliothek« kein geschlossener Raum, sondern ein Feld unterschiedlicher Akteure. Lokale Akteure übersetzen und transformieren soziale Objekte und Ideen entsprechend ihrem Kontext. Bürokratische Praktiken boten und bieten dabei Risiken und Chancen zugleich, trafen aber auch nicht auf ein leeres Feld, sondern verschränkten sich mit Praktiken sozialer Organisation vorkolonialer Zeit.

Wissenschaftliche Aktivitäten

Das TFG ermöglichte einen Raum für transnationale und interdisziplinäre Kommunikation zwischen dem Senegal, Deutschland und Frankreich. Die Stipendiatinnen und Stipendiaten kamen aus unterschiedlichen geistes- und sozialwissenschaftlichen Disziplinen, wie Geschichte, Ethnologie, Soziologie, Politik- und Religionswissenschaften. Die Projekte erforschten verschiedene Zeiträume (19.–21. Jahrhundert) und Regionen Afrikas (u.a. Senegal, Mali, Marokko, Tschad, Elfenbeinküste, DR Kongo, Benin). Die Stipendiatinnen und Stipendiaten hielten sich mehrheitlich in Dakar auf, dem Zentrum des Projekts. Dort fand zyklisch, von Januar bis Juni, die öffentliche Vortragsreihe »les jeudis à Dakar« statt. Außerdem organisierte die TFG Seminare, Workshops und Tagungen. Von 2017 bis 2019 fanden drei Sommerschulen jeweils bei einer der Partnerinstitutionen statt (2017 in Paris, 2018 in Berlin, 2019 in Bamako). Die Mitglieder der TFG berichteten aus ihren laufenden Forschungsprojekten im Rahmen eines Blogs zur »Bürokratisierung afrikanischer Gesellschaften«. 2021 veröffentlichte die TFG ihre Forschungsergebnisse in einem von Dr. Susann Baller herausgegebenen Atelier der Zeitschrift Francia (48).

Bildnachweis: Campus Université Cheikh Anta Diop (UCAD), 2017, Foto Susann Baller.

Büro von 2017 bis 2021:
Résidence Sidi Koumba
18 boulevard Martin-Luther-King
Fann-Hock
Dakar, Sénégal

Ansprechpartner:
Prof. Thomas Maissen

Wissenschaftliche Leitung: 
Dr. Susann Baller (Von Januar 2017 bis Dezember 2020, seit Januar 2021 Direktorin (›Germany‹) des Maria Sibylla Merian Institute for Advanced Studies in Africa (MIASA) in Accra)
Dr. Amadou Dramé (Von Januar 2021 bis März 2022)

Mitglieder des Leitungsgremiums:

  • DHIP: Prof. Thomas Maissen (Vertretung: Dr. Mareike König)
  • CREPOS/UCAD: Prof. Ibrahima Thioub (Vertretung: Prof. Ndiouga Adrien Benga)
  • Programm Point Sud/Goethe-Universität Frankfurt: Prof. Mamadou Diawara (Vertretung: Prof. Elìsio Macamo)
  • Humboldt-Universität zu Berlin: Prof. Andreas Eckert (Vertretung: Prof. Baz Leqocq)
  • Sciences Po: Prof. Béatrice Hibou (Vertretung: Prof. Laurent Fourchard/Prof. Richard Banégas)
  • Individuelle Mitglieder: Prof. Jean-François Bayart (The Graduate Institute of International and Development Studies Genf), Dr. Séverine Awenengo Dalberto (CNRS-IMAF), 2021 auch Dr. Susann Baller (DHIP, frühere Programmleitung)
  • Projektleitung (2021 Dr. Amadou Dramé und 2017 bis 2020 Dr. Susann Baller), Verwaltungsleitung des CREPOS (Prof. Alfred Inis Ndiaye), wissenschaftlicher Koordinator des DHIP (Dr. Niels F. May), Verwaltungsleitung des DHIP

Postdocs:

Doktoranden und Doktorandinnen:

Bibliographische Referenzen:

Béatrice Hibou, La bureaucratisation du monde à l’ère néolibérale, Paris 2012.

Jean-François Bayart, La cité bureaucratique en Afrique subsaharienne, in: Béatrice Hibou (Hg.), La bureaucratisation néolibérale, Paris 2013, S. 291–313.

Ralph A. Austen, Colonialism from the Middle. African Clerks as Historical Actors and Discursive Subjects, in: History in Africa 38 (2011), S. 21–33.

Valentin Y. Mudimbe, The Invention of Africa. Gnosis, Philosophy and the Order of Knowledge, Bloomington 1988.

Veena Dasm, Deborah Poole (Hg.), Anthropology in the Margins of the State, Santa Fe 2004.

Informationsmaterial und Publikationen