Digitale Geschichtswissenschaften

Forschungsprojekt

HTR angewandt auf große mittelalterliche Korpora: Die Beziehungen zwischen Gelehrten und der städtischen Bevölkerung in Paris im späten Mittelalter.


Das Projekt verwendet und untersucht Methoden der semi-automatischen Erkennung handschriftlicher Texte (Handwritten Text Recognition – HTR) für die Analyse eines mittelalterlichen Korpus. Analysiert werden im konkreten Fall die Plädoyerregister des Pariser Zivilparlaments, die in den Archives Nationales (Serie X) aufbewahrt werden. Diese Register sind eine wichtige Informationsquelle für die Rechts- und Stadtgeschichte der französischen Hauptstadt während des 14. und 15. Jahrhunderts. Inhaltlich konzentriert sich das Projekt auf die Analyse der Beziehungen, die die privilegierte Gruppe der Gelehrten mit der übrigen Stadtbevölkerung unterhielt. Der Zeitraum war durchzogen von zahlreichen politischen, kirchlichen und diplomatischen Krisen, die sich auf die universitäre Mobilität und die Fähigkeit vor allem ausländischer Studenten auswirkten, ihre Abschlüsse in der französischen Hauptstadt zu erwerben. Die Andersartigkeit dieser Studenten stand im Zentrum ihrer Integration in eine Gesellschaft, in der sie viele Jahre verbrachten, wenn nicht sogar ihr ganzes Leben. Die Untersuchung knüpft an breitere Fragestellungen an, wie die der reisenden Bevölkerung im Mittelalter sowie Mehrsprachigkeit und Koexistenz mehrerer Kulturen innerhalb einer Gesellschaft.

Im Bereich der digitalen Methoden liegt das Augenmerk auf der Anpassung von HTR-Techniken an große Textkorpora, ein Vorgehen, das zahlreiche Herausforderungen mit sich bringt. Zu nennen sind hier die Veränderungen der Quellen im Laufe der Zeit, die Vielseitigkeit der mittelalterlichen Sprache sowie Verzerrungen der eigenen historischen Fragestellung, die das Texterkennungsmodell erzeugt.

Das Projekt interessiert sich insbesondere für die Bedingungen, unter denen eine rohe, d.h. unkorrigierte Transkription für eine serielle und qualitative historische Analyse verwendet werden kann. Zu diesem Zweck werden verschiedene Anwendungen und Plattformen für die semi-automatische Transkription handschriftlicher Texte erprobt und evaluiert. Damit trägt das Projekt zum Gegenstand der Kritik digitaler Werkzeuge (digital tool criticism) bei und mithin zur theoretischen und praktischen Reflektion einer digitalen Hermeneutik in der Geschichtswissenschaft.

Bildnachweis: Konflikt zwischen dem Magister Paul Nicolas und der Universität von Paris, X/1a/4795, fol. 33, Archives Nationales, https://www.siv.archives-nationales.culture.gouv.fr/siv/media/FRAN_IR_057043/d_1_1_4_12/FRAN_0354_005500_L, Public Domain.