Die Nation (neu) schreiben. Transnationale Geschichte der Nation und des Nationalismus (Frankreich-Deutschland, 1848–1871)
Diese Dissertation betrachtet den Begriff der Nation – und sein semantisches Feld – zwischen 1848 und 1871 im Sinne einer transnationalen Begriffsgeschichte. Die zentrale Idee ist, dass Nationen nicht nur soziale, politische, kulturelle und wirtschaftliche Konstrukte sind. Als Gegenstand diskursiver und semantischer Neujustierungen durch Austausch, Wiederaneignung, Distanzierung, Imitation oder Ablehnung zwischen den Ländern, sind sie darüber hinaus transnational.
Das Forschungsprojekt umfasst den Zeitraum zwischen den europäischen Revolutionen von 1848 – einem nationalen und transnationalen Moment par excellence – und dem Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71, in dessen Folge sowohl das Deutsche Kaiserreich, der erste deutsche Nationalstaat, als auch die Dritte Republik entstanden. Für beide Länder war diese Zeit reich an politischen, wirtschaftlichen, sozialen und diplomatischen Umbrüchen. Sie eignet sich daher, um wechselseitige Bezugnahmen zu beobachten. Im Zentrum dieser Analyse stehen das Konzept der Nation und verwandte Begriffe wie ›national‹, ›nationalité/Nationalität‹, ›race/Rasse‹, ›Peuple/Volk‹, ›Volksthum‹ sowie ›empire/Reich‹.
Das Forschungsprojekt steht somit im Gegensatz zu Ansätzen, die diese Entwicklungen im geschlossenen ›nationalen‹ Raum verfolgen. Es widerspricht darüber hinaus Forschungsarbeiten, die einen vermeintlichen Gegensatz zwischen einem französischen Nationalismus – liberal, offen, bürgerlich, subjektiv – und einem deutschen Nationalismus – illiberal, geschlossen, ethno-linguistisch, objektiv – postulieren.
Zentrale Quellen der Dissertation sind parlamentarische Archive (Französische Nationalversammlung, Bundestag, Zollparlament, Paulskirche, Reichstag, verschiedene Parlamente einzelner deutscher Staaten), die mit veröffentlichten Quellen, Artikeln, Büchern und offenen Briefen von Intellektuellen in Beziehung gesetzt werden. Aus einer sozialgeschichtlichen Perspektive richtet sich das Augenmerk auf jene Persönlichkeiten, die sich in Parlamenten und Publikationsnetzwerken auf die jeweils andere Nation bezogen, auf ihre politische Couleur, ihre Herkunft, ihre Berufe und Konfessionen, um zu zeigen, wer spricht, von welcher sozialen Position aus und mit welchem Ziel. So sollen Referenzen und Konzepte in einer Zeit großer Offenheit, vieler Möglichkeiten und verschiedener Perspektiven für die Zukunft sozial verortet werden. Aus einer begriffsgeschichtlichen Perspektive stehen semantische Veränderungen, die Zusammensetzung des Sprachfelds der Nation, Konflikte und Spannungen im Mittelpunkt. Hauptziel des Projekts ist es, die transnationale Fabrik der Nation so nah an den Akteuren wie möglich zu erfassen.
Bildnachweis: Marie-Cécile Goldsmit, 1848. République universelle, démocratique et sociale, Lithographie, 19. Jahrhundert, Musée Carnavalet, Paris.