In den letzten dreißig Jahren wurde die Hauptstadtforschung überwiegend von einer konstruktivistischen Lesart geleitet, die Hauptstädte weniger als Orte der Macht sondern vielmehr aus einem symbolischen Blickwinkel betrachtet. Ohne die Bedeutung von Wahrnehmungen und Vorstellungen zu schmälern, wird der Workshop die Besonderheiten der »diplomatischen Hauptstadt« (diplomatic capital) im Vergleich zur internationalen Hauptstadt (international capital) oder »Weltstadt« (global city) untersuchen.
Der Begriff der diplomatic capital wurde ausgehend von europäischen Erfahrungen entwickelt (vgl. Badel, Revue historique, 2022-3, Nr. 703) und wird als analytisches Konzept fruchtbar gemacht, um die besondere Relevanz solcher Städte im Kontext der Umstrukturierungen der internationalen Beziehungen seit 1945 zu untersuchen. Das zielt auch, aber nicht nur, auf Städte, in denen internationale Organisationen ihren Sitz haben, in denen regelmäßig Konferenzen von Nichtregierungsorganisationen oder Kongresse von Aktivisten stattfinden oder in denen in sonstigen »Foren« diplomatische Gespräche geführt werden – ohne dass diese Städte unbedingt Sitz einer Regierung sein müssen.
Während sich die diplomatischen Hauptstädte bis 1945 im atlantischen Raum konzentrierten, haben sie sich seither auf allen Kontinenten verbreitet, nicht zuletzt weil die entkolonialisierten Staaten auf diese Weise am Funktionieren der internationalen Ordnung teilhaben konnten. Der Workshop wird deshalb primär außereuropäische Städte betrachten, die sich während und nach dem Kalten Krieg behaupten konnten. So soll auch das analytische Potenzial des Konzepts geprüft werden, die Transformationen sowohl des Multilateralismus als auch der jeweiligen regionalen und kommunalen Räume nach 1945 zu erfassen.
Vorträge und Diskussion auf Französisch und Englisch.
Anmeldung für die Teilnahme vor Ort: Wegen begrenzter Platzzahl im Saal bitten wir um eine Anmeldung bei event@dhi-paris.fr.
Anmeldung für die Online-Teilnahme: Zoom.
Organisation: Laurence Badel (Paris 1 Panthéon-Sorbonne/UMR Sirice), Nicolas Badalassi (Sciences-Po Aix), Anne-Sophie Gijs (UCLouvain), Jürgen Finger (DHIP)
Partner: UMR Sirice (Paris 1 Panthéon-Sorbonne/CNRS); Sciences-Po Aix; UCLouvain.
Bildnachweis: Delegierte bei einer Plenarsitzung des Wirtschaftsausschusses auf der Bandung-Konferenz 1955. Government of Indonesia, Public domain, via Wikimedia Commons.