Virtuelles Mittelalter
Das »Virtuelle« prägt zunehmend unsere Lebenswelt. Auch das Arbeiten im Bereich der Geschichtswissenschaften ist von dieser Entwicklung betroffen, deren Effekte aber erstaunlich selten reflektiert werden. Das Projekt »Virtuelles Mittelalter«, das im Sonderforschungsbereich 1567 »Virtuelle Lebenswelten« an der Ruhr-Universität Bochum angesiedelt ist (https://www.virtuelle-lebenswelten.de/), fragt zunächst, welche Rolle virtuelle Objekte in der Erforschung der mittelalterlichen Geschichte spielen. Davon ausgehend richtet sich der Blick auf ihren Einsatz bei der Vermittlung wissenschaftlicher Erkenntnisse (zur mittelalterlichen Geschichte) in der forschungsnahen Wissenschaftsvermittlung (Ausstellungen und Museen). Zusammen mit Kolleginnen und Kollegen aus dem Bereich der Public History wird zudem untersucht, wie sich der Einsatz immersiver Techniken (Augmented Reality, Virtual Reality) auf die Ausbildung des Geschichtsverständnisses auswirkt.
Prof. Dr. Klaus Oschema fragt in seinen Untersuchungen insbesondere, wie die verschiedenen Geschichtskulturen in Deutschland und Frankreich den Einsatz entsprechender Techniken in der Forschung und Vermittlung beeinflussen: Werden die Möglichkeiten digital basierter Rekonstruktionen und Sammlungen auf verschiedene Weise genutzt? Spielt die Reflexion über die Auswirkungen der einschlägigen Praktiken eine unterschiedliche Rolle?
Im Zentrum der aktuellen Arbeiten steht zunächst die Entwicklung einer tragfähigen Definition der Kategorie »virtuelles Objekt« für die geschichtswissenschaftliche Arbeit, die als Grundlage für die Reflexion über Effekte auf die Forschungstätigkeit dienen kann. Auf dieser Basis sollen anschließend einschlägige Projekte im deutschsprachigen und frankophonen Raum erfasst und auf die Kernfragen des Projekts hin untersucht werden. Dabei spielen insbesondere Aspekte der Praxeologie des historischen Arbeitens eine Rolle, die auch die Interaktion zwischen Historikerinnen und Historikern einerseits sowie Expertinnen und Experten der technisch-digitalen Umsetzung andererseits in den Blick nehmen. Darüber hinaus soll die epistemologische Frage nach dem Erkenntniswert virtueller Objekte für die historische Forschung exemplarisch an Objekten mit Mittelalter-Bezug diskutiert werden. Besonderes Augenmerk gilt nicht zuletzt der Frage, ob Virtualität stets ausgehend von Digitalität zu denken ist, oder ob das Konzept auch erlaubt, vordigitale Praktiken sinnvoll zu erschließen.
Bildnachweis: Collage von Suzette van Haaren, Bochum, unter Verwendung von Roman de la Rose, MS 5016D, fol. 28r, Aberystwyth, National Library of Wales